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Du kannst Menschen bloß da erreichen, wo sie sind, nicht da, wo du sie gerne hättest.
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Führung braucht Augenhöhe

03.09.2018 8 Min. lesen

2014 habe ich an einem ganzem Satz Weiterbildungen zu Führungsthemen mitmachen können. Ein Aspekt dabei war das Schreiben von Fachartikeln. Im Rahmen meines damaligen Vortrags „(Fr)agile Werte“ (siehe JAX 2015) habe ich mich mit Mindset, Werten und den Hintergründen von Agile unter den Perspektive Organisation, Change und Führung beschäftigt. Dies und Aspekte aus Coachings sind damals in einen Artikel über Führung eingeflossen, den ich hier gern teile, da er viele Facetten enthält die meiner Meinung nach wie vor sehr sinnvoll sind. Daher viel Spass beim Lesen.

Führung braucht Augenhöhe

Von modernen Führungskräften wird erwartet in flachen Hierarchien selbstorganisierte Teams zu führen. Die Mitarbeitenden selbst sollen dabei immer mehr Verantwortung übernehmen, sodass sich eine Führungskraft im besten Fall überflüssig macht. Dies kollidiert mit dem „klassischen“ Verständnis vom „Chef“ und den bisherigen Hierarchien mit denen wir aufgewachsen sind.

Führung. Etwas was im agilen Umfeld oberflächlich betrachtet „altbacken“ und überspitzt sogar als „überflüssig bewertet“ werden kann. Dieser Eindruck wird durch das Ziel der Selbstorganisation von Teams deutlich verstärkt, da mehr Verantwortung in die Teams übergehen soll. Fokussiert man allerdings die eigentliche Absicht von Führung, wandelt sich das Bild. Nach Neuberger gibt es keine einheitliche Definition des Führungsbegriffes, sondern eine Vielzahl von Begriffsbestimmungen die unterschiedliche Aspekte hervorheben. Als gemeinsame Komponente stellt sich jedoch heraus, dass Führung ein Versuch ist, auf das Verhalten einer Person einzuwirken. Hervorzuheben ist hierbei allerdings, dass es sich nur um einen Versuch handelt. Der „Geführte” entscheidet, in welchem Rahmen Führung zugelassen wird. Sehr vereinfacht betrachtet, hat der „Führende” nur die Möglichkeit seinen Führungswunsch auf unterschiedliche Arten deutlich zu machen. Ob diese Wunschäusserung jedoch eine Verhaltensänderung beim „Geführten“ bewirkt, liegt nicht mehr im Einflussbereich des „Führenden”. Dies kann nur vom „Geführten“ selbst entschieden werden. Diese Diskrepanz kann zu Konflikten und Missverständnissen auf beiden Seiten führen. Machen sich die Beteiligten aber die unterschiedlichen Dimensionen dieses Prozesses bewusst, entstehen daraus neue Möglichkeiten die Kommunikation zu verbessern.

TL;DR

  • Führung ist nur ein Versuch auf das Verhalten einzuwirken
  • eine Führungskraft hat keine direkte Macht über Menschen
  • freie Entscheidung der Mitarbeitenden, ob Führungsversuche angenommen werden
  • Führung kann fälschlicherweise als „Nebenbei“-Tätigkeit betrachtet werden
  • Führung ist mehr als Mitarbeitergespräche zu führen

Reden, Reden, Reden

Alle bisher genannten Punkte über Führung sind sehr abstrakt. Daher assoziieren wir beim Gedanken an Führung eher konkrete Situationen zwischen einer Führungskraft und Mitarbeiter:innen. Diese Situationen können durchaus emotional sehr negativ belastet sein. Drohgebärden, Beleidigungen, sehr offensive Führungsversuche, Manipulationen oder ähnliche Konflikte fallen ganz klar nicht in das bereits skizzierte Konzept von Führung.

Schulz von Thun - 4 Seiten einer Nachricht

Einen entscheidenden Einfluss, ob es in einem Gespräch zu einer Konfliktsituation kommt oder nicht, hat die Kommunikation. Kommunikation ist nach dem Modell der vier Seiten einer Nachricht von Schulz von Thun kein einfacher Prozess, sondern ein sehr komplexer Vorgang. Nach dem Modell ist Kommunikation vielschichtiger, da mehrere Ebenen Einfluss auf den Inhalt einer Nachricht haben. Demzufolge verläuft Kommunikation nicht auf der reinen Sachebene, sondern zusätzlich auf den Ebenen der Selbstoffenbarung, des Appells und der Beziehungsebene simultan bei allen Teilnehmern des Gespräches. Diese Vielschichtigkeit wird noch zusätzlich durch die innere Einstellung der Kommunikationspartner gefärbt. Anspannung, Stress oder Euphorie haben enormen Einfluss darauf, wie eine Nachricht vom Absender formuliert und vom Empfänger interpretiert wird. Dies wird besonders in Konfliktsituationen deutlich, in denen sowohl Führungskraft als auch Mitarbeiter:innen ausserhalb ihrer normalen Komfortzone agieren. Dadurch können bereits zu Gesprächsbeginn enorme Barrieren zwischen den Gesprächspartnern bestehen, welche nicht direkt sichtbar sind. Diese Barrieren können dann zu sehr extremen Folgen führen.

Führen aus der Rolle

Führungspersonen sollten klarer daran denken, was die eigentliche Aufgabe von Führung ist und welche Rolle sie als Führungskraft dabei spielen. Eine disziplinarische Führungskraft muss zwar die Interessen des Arbeitgebers vertreten, allerdings dabei auch die Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeiter:innen berücksichtigen. Daher muss eine Führungskraft die eigene innere Haltung stetig hinterfragen und ihr Handeln reflektieren. Führungskräfte sollten sich als Wegbegleiter verstehen, welche gemeinsam mit ihrem Gesprächspartner Möglichkeiten erarbeiten. Dabei sind ein ausgewogenes Verhältnis von Fördern und Fordern entscheidend, um den Rahmen in dem sich ein Mitarbeiter:in orientieren kann gemeinsam abzustecken. Individuelle Bedürfnisse beeinflussen hierbei, ob ein Mitarbeiter:in hier eher viel Freiraum benötigt oder eher engereUnterstützung braucht. Die Gespräche werden enorm unterstützt, wenn klare Ziele, langfristige Visionen und Perspektiven vorhanden sind und an diesen entlang der Gesprächsablauf orientiert wird.

TL;DR

  • eine Führungskraft sollte eskalierende Konflikte vermeiden
  • Konfliktsituationen sind meist nicht offensichtlich
  • die innere Haltung der Gesprächspartner hat enormen Einfluss auf die Kommunikation

Eine fachliche Führungskraft hat nicht den Fokus der Personalentwicklung, sondern der Produktverantwortung und soll eine einheitliche Vision vermitteln, um den Mitarbeiter:innen damit Orientierung zu geben. Beispielsweise ein Head Architekt soll demnach zwar die Softwarearchitektur eines Produktes im Interesse des Arbeitgebers gestalten, muss dabei aber auch genügend Freiraum lassen, damit sich die Softwareentwickler eigenverantwortlich daran beteiligen können. Wichtige Aspekte sind hier dann vielmehr Vertrauen und Wertschätzung, sowie den Austausch und die Zusammenarbeit zu fördern. Somit schafft eine fachliche Führungskraft auf Basis von Prinzipien ein Umfeld, welches ein gemeinsames Mindset unterstützt und ein einheitliches Verständnis von Zielen ermöglicht.

Unabhängig von der konkreten Rolle haben Führungskräfte eine große Herausforderung zu meistern. Sie sind sich auf der einen Seite bewusst, dass sie in einem Umfeld ohne Erfolgsgarantie agieren. Auf der anderen Seite ist es ihr Auftrag stetig zu versuchen, das Verhalten von Menschen mit Impulsen zu verändern.

Chancen erhöhen

Die zentrale Frage die sich nun stellt ist, „Welche Faktoren können die Erfolgsaussicht eines Führungsversuches positiv beeinflussen?“. Die Faktoren zur Erhöhung eben dieser Wahrscheinlichkeit sind nicht in Verhaltensweisen zu suchen, die eine negative emotionale Reaktion des Geführten zur Folge haben wird. Genauer heisst das, dass extrinsischer Druck langfristig keinen positiven Einfluss auf die intrinsische Motivation eines Menschen hat. Das bedeutet natürlich nicht, dass unangenehme Themen ignoriert werden sollten. Wichtig ist hier der bewusste Einsatz von Methoden, um unangenehme Themen anzusprechen oder sogar autoritär aufzutreten. Dies sollte allerdings erst erfolgen, wenn andere Methoden nicht das gewünschte Ergebnis hatten. Zuerst sollten Führungsversuche an den Wertesystemen der Menschen entlang erfolgen. Dabei bilden Werte wie Vertrauen, Offenheit und Respekt die Basis für eine aufgeschlossene Kommunikation. Diese Werte sind ebenfalls Schlüsselkomponenten des agilen Mindsets (intrinsische Motivation, Verantwortungsübernahme im Team) und helfen deutlich bei der Einführung von agilen Vorgehensmodellen und deren Evolution innerhalb einer Firma. Auf Basis dieser Werte ist es erst möglich eine Feedback-Kultur zu etablieren, welche Hierarchien aufbricht und dazu beiträgt das Kommunikation nicht mehr „von oben herab“ erfolgt. Die Gesprächspartner sind vielmehr auf einem gemeinsamen Niveau und somit auf „Augenhöhe“. Dieser bewusste Kommunikationsprozess unterstützt dann die Versuche von Führung - sogar in beide Richtungen - und fühlt sich für die Gesprächspartner deutlich natürlicher an. Dadurch können Situationen von klassischen Mitarbeitergesprächen eher zu einem gegenseitigen Austausch werden, bei dem die Gesprächspartner sich wie gleichberechtigte Bekannte fühlen. Dies unterstützt die Möglichkeit, dass Feedback angenommen wird und im Rahmen der Selbstreflexion tatsächlich eine Anpassung des Handelns erfolgt. Wichtig ist hierbei allerdings, dass sich die Gesprächspartner ihrer eigenen inneren Haltung bewusst sind und ein gemeinsames Verständnis für Motivation gefunden haben. Dieses Verständnis muss in gemeinsamen Gesprächen erarbeitet werden, da jeder Mitarbeitende sehr individuelle Motivationsfaktoren hat. Bei den Gesprächen müssen sich die Gesprächspartner von klassischen Führungsmustern loslösen und sich somit stärker auf einander einlassen. Dies stärkt Vertrauen und Offenheit in beide Richtungen. Eine stetige Selbstreflexion der Führungskraft sowie eine dynamische Gestaltung des Handlungsrahmens jedes Mitarbeitenden unterstützen diesen Weg zusätzlich. Allerdings ist dabei zu beachten, dass eine Führungskraft situationsbedingt enger oder weiter führen muss. Dies ist abhängig von der konkreten Umständen und den individuellen Bedürfnissen.

Führung ist Coaching auf Augenhöhe

Da man als Führungskraft keinerlei direkte und absolute „Macht über Menschen hat“, kann eine Führungskraft somit primär nur an ihrer eigenen inneren Haltung arbeiten. Dies beeinflusst bereits die eigene Rhetorik und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation zielführender erfolgt. Trägt eine Führungskraft diese veränderte Haltung dann nach aussen, kann dies von den Mitarbeitenden wahrgenommen werden. Das hat zur Folge, dass sich die innere Einstellung der Mitarbeitenden indirekt ändert. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Feedback angemommen wird. Wichtig dabei ist allerdings, dass eine Führungskraft authentisch und für die Mitarbeiter:innen als Mensch greifbar bleibt. Im agilen Umfeld bieten sich zusätzlich Werkzeuge wie Retrospektiven oder Kaizen Meetings an, um Transparenz zu schaffen. Die herausfordernde Situation, dass es die hierarchische Rolle einer Führungskraft im agilen Umfeld nicht mehr gibt, kann dort mit dem Team zusammen beleuchtet werden. Dies kann etwa dazu führen, dass bestimmte Tätigkeiten von einer Führungskraft ins Team übergehen. Die damit verbundenen Herausforderungen und Veränderungen für das Team und die Führungskraft sollten angesprochen und gemeinsam bewertet werden. Dies steigert das Verständnis untereinander und unterstützt nachhaltig die Vertrauensebene. Der damit angestoßene Weg zur Selbstorganisation eines Teams wird ebenfalls unterstützt und eröffnet den Dialog, um den Veränderungsprozess gemeinsam zu gestalten.

TL;DR

  • Führungskräfte müssen daran denken, dass es intrinsische und extrinsische Motivation gibt
  • die innere Haltung der Führungskraft strahlt nach aussen
  • gegenseitige Offenheit, Authentizität, Vertrauen auf beiden Seiten bilden die Basis für Feedback
  • Kommunikation auf Augenhöhe hilft diese Werte zu unterstützen
  • Feedback und kritische Selbstreflexion sind wichtige Werkzeuge in moderner Führung

Führung kann somit keine „Nebenbei“-Tätigkeit sein. Führung ist in modernen und selbstorganisierten Teams ein langwieriger, vielschichtiger und sehr komplexer Prozess, da die Teammitglieder Autorität deutlich stärker hinterfragen und mehr in Entscheidungen involviert sein wollen. Führung sollte somit zuallererst bei der Führungskraft anfangen und erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Authentiztät. Zusätzlich muss eine Führungskraft situativ eine enorme Spannbreite an Führungsstilen bedienen können, um die Individualität und Dynamik eines modernen Teams zu bedienen. Insgesamt berührt moderne Führung somit deutlich mehr Ebenen und ist somit mehr als „nur“ Mitarbeitergespräche führen, Entscheiden, Anweisen und sich über Gehälter Gedanken machen. Die Rolle eines Coaches trifft immer mehr den Kern moderner Führung, da das eigentliche Ziel die vielschichtige Begleitung von Menschen und Verbindung mit der eigentlichen Unternehmensbestimmung ist.

Quellen

  • Schulz von Thun, Friedemann: „Miteinander Reden. 1: Störungen und Klärungen.“ Reinbek bei Hamburg 1981
  • G. Marschner: „Menschenführung“. In: W. Arnold, H.J. Eysenck, R. Meili (Hrsg.): „Lexikon der Psychologie“, Bd. 2, 3. Aufl. Freiburg i.Br. 1987
  • O. Neuberger: „Führen und führen lassen.“ 6. Aufl. Stuttgart 2002
  • J. Ackermann: „Lean Leadership – Eine situationstheoretische Untersuchung von erfolgsrelevantem Führungsverhalten in Veränderungsprozessen mit Lean-Ausrichtung am Beispiel eines Premiumherstellers der Automobilindustrie“, Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln 09/2012 (siehe hier)